Und weil das so war, wurde ich groß, ohne zu ahnen, was Kakerlaken wirklich sind. Natürlich wusste ich, dass es Küchenschaben gibt, aber ich hatte keinen Schimmer, dass man sie Kakerlaken nennt. Irgendwie war das an mir komplett vorbeigegangen. Ich dachte, Kakerlaken sei der gängige Begriff für das Fußvolk der Stasi. Ich dachte, die heißen so. Klingt ja auch ein bisschen russisch...
Später zogen wir nach Berlin, ich bekam einen neuen Vater, den ich viel besser fand als den alten, und mit der Großstadt kehrte eine gewisse Normalität in mein Leben ein.
Ich war ungefähr 16, als ich einen Bekannten besuchte, der gerade in ein Studentenwohnheim am Ostbahnhof gezogen war. Ich fand das sehr schick und erwachsen. Hey, ein Studentenwohnheim, cool.
Sein Zimmer lag in einem der oberen Stockwerke des Hochhauses und hatte einen hervorragenden Blick über Ostberlin. Es gab eine sehr kleine schlauchartige Küche und ein großes Zimmer mit zwei Doppelstockbetten. Ich war begeistert. So also sah das Leben nach der Schule aus. Vierbettzimmer mit Küchenzeile. Super.
Ich ahnte schon, dass mein eigenes Leben nicht so sein würde, aber ich dachte nicht gerne daran. Außerdem gab ich die Hoffnung nicht auf. Vielleicht würde aus mir mit der Zeit ja doch noch ein anständiger DDR-Bürger. Eben Abitur, Studentenwohnheim, Schrankwand. So wie hier.
Ich lobte sein Zimmer. Ja, antwortete er, es sei toll, nur die vielen Kakerlaken würden stören.
Wie – die vielen Kakerlaken? Ich fiel aus allen Wolken. »Hier im Studentenwohnheim?« Ich war ehrlich erstaunt. Ich wusste natürlich, dass die Stasi auch hier war, mir war allerdings nicht bewusst, dass sie sich so offen in den Gängen des Wohnheims bewegte.